Schloss Marschlins

Landquart und sein Schloss.
Schweizer Vorlesetag 2024

Historische Klänge holten die rund 170 gespannten Besucher des Schweizer Vorlesetags ins Hier und Jetzt. Gemeinsam mit der Bibliothek Landquart und Umgebung gestalteten wir diesen schweizweiten Anlass – und waren erstaunt, dass so eine riesige Menschenschar den Weg in die Bibliothek gefunden hat!

Flurina Camenisch, Gemeindarchivarin der Gemeinde Landquart

Flurina Camenisch, Gemeindearchivarin ergriff das Wort und führte uns passend zum Thema auf einen Streifzug durch ihre Arbeit. Sie erzählte, welche verschiedenen Archive es gibt – private von Einzelpersonen und Familien sowie öffentliche, wie das der Gemeinde oder des Kantons – und erläuterte, wie diese Archivierung per Gesetz geregelt ist. Ihren Alltag liess sie kurz aufblitzen, mit ein paar Auszügen haben wir erfahren, dass auch Archive dem Wandel der Zeit unterliegen. So werden nicht nur handschriftliche Dokumente von «anno dazumal» in der Gemeinde im 1. Untergeschoss bei perfekter Lufttemperatur gelagert, sondern auch mehr und mehr digitale Zeugnisse unserer heutigen, im Moment noch modernen Zeit.

Christina Caprez, Autorin, Soziologin und Filmemacherin

Christina Caprez, ihres Zeichen Autorin («Die illegale Pfarrerin»), Filmemacherin (Landquart: Boomtown oder Schandfleck Graubündens, Link zu RTR ) und Soziologin nahm das Mikrofon zur Hand und erklärte, dass eben genau ihre Grossmutter aus Igis stammte. Auch mit einem anderen Dialekt fühlt sie sich also zu unserer Region gehörend.

Im Bezirksamtsblatt vom 3. Mai 2024 stand vermerkt, dass Seine Durchlaucht, Rudolf von Liechtenstein die Instandsetzung des Schloss Marschlins beabsichtigt. So dreht sich die Geschichte unseres Schlosses also weiter. Doch von Anfang an.

Der Name "Marschlins" - so hat alles begonnen

Marschains, Martschlins, das waren Flurnamen von damals, oder auch die Bezeichnungen Muricia, Muriciolum (fest gemauerter Bau) gaben dem Schloss seinen Namen. Es heisst, dass Mönche eine Niederlassung bauen wollten – hätten wir also fast ein Kloster bekommen, wenn da nicht die Taube einen blutigen Holzspan aus dem Finger eines Mönches klaubte und mit ihm nach Pfäfers flog. Das nahm man damals als Zeichen und so wurde das Mönchskloster in Pfäfers erbaut.

Ulysses - ein Name, der eng mit Marschlins verbunden ist

Mitte des 13. Jahrhunderts baute Friedrich der Zweite ein Wasserschloss an dieser Stelle. 300 Jahre später, 1633, begann dann die Geschichte der vielen Ulysses, denn jeder Vater gab seinem Sohn diesen Namen. Versuchen wir, den Überblick zu behalten!

Ulysses von Salis hat das Schloss erworben und so wurde aus ihm Ulysses von Salis Marschlins, weil man den Wohnort quasi noch als Zusatz zum Namen dranhängte. Der Hof wurde gebaut, das Schloss erweitert, Bäume gepflanzt. Erwin Pöschl erzählt in seinen Aufzeichnungen (Die Kunstdenkmäler der Schweiz/Kanton Graubünden) über das Innere des prachtvollen Gebäudes, über dessen Ausstattung, dessen Offizierstube, sein «Goldenes Stübli», das Ilanzer Zimmer oder die Schlosskapelle. Nur schon unsere Fantasie lässt erkennen, welch wundervoller Bau das gewesen sein muss. Die Anwesenden, die glücklicherweise einen Blick hinter die Schlossmauern werfen durften, können dies bestätigen.

1633 wurde vieles abgerissen. Nicht mehr schön, verfallen, verkümmert. Die vier Türme blieben wo sie waren, der Rest wurde neu aufgebaut und mit vielen Fruchtbäumen umrahmt. Denkmalschutz gab es wohl keinen, meinte Christina Caprez mit einem Lachen und Cornelius Raeber trug ein paar Bedingungen der Gemeinde vor, welche uns alle zum Schmunzeln brachten.

1770 kam Florian Aliesch als erster Pfarrer nach Marschlins. In der Schlosskapelle wurden vorwiegend Ehen geschlossen oder Kinder getauft. Genau das wäre sicher auch heute so, wenn man denn könnte, nicht?
Die schönen Gartenanlagen umrahmten das Schloss, seine Pärke und Wiesen standen unter der Obhut von deutschen und französischen Gärtnern.

Das Schloss Marschlins als erhoffte Hochburg der Bildung

1761 hat Martin Planta, ein Freund von Ulysses von Salis, in Haldenstein eine Schule gegründet. Reformationen drangen in die Region, Ulysse (der wievielte? Hat jemand mitgezählt?) half mit, das Seminar zu gründen. Es war die perfekte Schmiede für Militärsleute und Kaufmänner – so wie es der damaligen Gesellschaftsschicht entsprach. Bald jedoch wurde der Standort in Haldenstein zu klein, das Seminar wurde nach Marschlins verlegt, wofür sich Ulysses fest eingesetzt hat. Denn sein Herz brannte für die Bildung.

So kam am 20. Juli 1771 das Seminar nach Marschlins. Fast kann man sagen, dass mit dem Umzug auch das Unheil über den Ausbildungsort zog.
Krankheiten machten sich breit, Durchreisende erzählten von «Stummen» und «Nöcken», die man an die Sonne brachte – die Region wurde als ungesund gebrandmarkt.

Martin Planta, Pfarrer von Zizers schied zudem kurz nach dem Umzug dahin. So wurde Ulysses Mitstreiter jäh aus dem Leben gerissen – und Ulysse ging bis nach Deutschland, um sich bei Johann Bernhard Basedow, dem damaligen „Propheten“ des Schul- und Erziehungswesen beraten zu lassen, wie der Weg des Seminars weitergehen solle. Mit im Gepäck nach Hause nahm er einen neuen Gefährten an seiner Seite, der mit ihm den Seminarort leitete.

Die Regeln im Seminar waren streng, militärisch, aus heutiger Sicht jedoch schon fast lustig. Cornelius hat einige davon vorgetragen: Der Weckdienst mit dem hölzernen Hammer, die Kontrolle, dass alle Schüler auf und wach waren, die Bestrafung für Langschläfer oder aber die Waschkontrolle von Gesicht und Händen. Alles findest du in der Audiodatei im Anhang.

Zwielichtige Gestalten, ungesunde Luft & andere Stolpersteine in der Marschlins-Geschichte

«D’Schual isch schnell abgrockt worda!» meinte Christina Caprez und erntete ein lautes Lachen. Die philanthropische Schule wurde 1777 bereits wieder geschlossen, da der Ruf gelitten hat und keine spendenfreudigen Gönner gefunden werden konnten. Zu viele zwielichtige Gestalten trieben sich dort herum. Der Mord an einem Lehrer der Schule in der Ganda hat auch nicht dazu beigetragen, die Schule in positivem Licht zu zeigen.

1799 sei die erste Zeitung der Gemeinde in Marschlins gedruckt worden – wir glauben es einfach einmal. Sie erschien 2x wöchentlich, hiess «Der alte redliche Alpenbote aus den ewigen drei Bünden».

Auch soll das Schloss um 1800 rund 10'000 Soldaten beherbergt haben, die hierzulande auf Feldzügen waren. Deutsche und französische Soldaten stiessen auf dem Schlachtfeld zusammen. Cornelius gab eine Geschichte über einen verwundeten Soldaten preis. Auch das kannst du in der Audiodatei nachhören.

1823 stand in den «Bündner Churer Nachrichten», dass die Stallungen und ein Nebengebäude des Schlosses Flammen zum Opfer fielen. Um 21.15 Uhr, als die Feuerspritzung eintraf, wüteten die Flammen bereits im Dachstock und im Lehnhaus. Viele Tiere fielen der Feuersbrunst zum Opfer.

Kartoffeln, Tabak & Seidenraupen

Cornelius erwähnte auch, dass die Kartoffel – nebst dem Mais – zum ersten Mal in Graubünden in Marschlins angebaut wurde. Die bei der „gemeinen“ Bevölkerung nicht sonderlich beliebte Knolle wurde nur in der höheren Gesellschaft verzehrt. Erst später dann, während Hungersnöten, wusste man die Kartoffel sehr zu schätzen. (Siehe auch unser Kartoffel-Event im April 2017 und das Kartoffelprojekt im Herbst 2017).

1787 wurde nicht nur Tabak angebaut, man wollte auch Seidenraupen züchten. So wurden 1000 weisse Maulbeerbäume angepflanzt (auch im Domleschg) – leider Stand auch dieses Projekt unter keinem guten Stern. Die Besitzer beklagten sich bei den kirchlichen Würdeträgern über die vielen Feiertage. Diese hielten die Arbeiter von ihrem Job ab, die Seidenproduktion leide darunter. Wie wir erahnen können, wurden diese Einwände von den höheren Würdenträgern abgetan.

Marschlin's bekannte Tochter: Meta von Salis. Ein Leben für die Gleichberechtigung.

Ein grosses Kapitel, wenn es um unser Schloss geht, ist Meta von Salis gewidmet. Als eine von zwei überlebenden Kindern – besser gesagt: Töchtern – hatte sie einen schweren Stand. Ihr Vater meinte, dass die Tatsache, dass alle männlichen Erben im Kindesalter gestorben sind, ihn selber auch ins Grab bringe. So erschrak Meta wörtlich, als sie im Alter von 12 Jahren einen Kuss von ihrem Vater bekommen hat. Denn solche väterlichen Zärtlichkeiten kannte sie nicht von ihm.

Die 1855 geborene Meta wurde so zur Vorreiterin von Gleichberechtigung und Frauenpower. Sie war die erste Studentin der Uni Zürich, die erste promovierte Historikerin der Schweiz und lebte während 45 Jahren mit ihrer Partnerin Hedwig Kim zusammen. Rückblickend auf ihr Leben meinte sie einmal «Der erste Fehltritt den ich mir erlaubt habe war die Erscheinung in weiblicher Gestalt. Ihr dominanter, cholerischer Vater liess sie oft spüren, dass er statt ihrer lieber einen Sohn an seiner Seite gehabt hätte. Vielleicht wurde sie grad darum Feministin. Denn Bildung wurde ihr im Kindes- und Jugendalter verwehrt, lesen durfte sie einzig das Missionsamtsblatt. Dadurch wurde sie schwermütig und wurde daraufhin in ein Internat geschickt. Sie floh in die Welt der Gedichte. Die selbstgeschriebenen Werke zeigte sie später der Pfarrerin aus Igis und ihrer Schwester. Diese Frauen motivierten sie zum Weitermachen und so ging Meta 1883 wie erwähnt an die Universität in Zürich. Belächelt von manchen Lehrern und Mitstudenten waren sich die wenigen Frauen bewusst, dass sie sich ihre Daseinsberechtigung Schritt für Schritt erkämpfen mussten.

Einen Kampf für Gleichberechtigung hat sie verloren: Sie wurde von einem Zürcher verklagt und schuldig gesprochen. Darauf gab sie ihr Zuhause auf, verkaufte das Schloss an ihren Cousin Ludwig von Salis Maienfeld und verlegte ihren Wohnsitz auf Capri. Nichtsdestotrotz kam sie gerne zurück in die Heimat, und auch im Schloss war sie lange ein gern gesehener Gast.

Greti, die Igiser Pfarrerstochter (und Grossmutter von Christina Caprez), war häufig im Schloss zu Besuch. Der Kirchenvorstand lud die Pfarrers häufig ein, wenn es Themen zu bereden gab. Sie erinnert sich an die Gemäuer und das Buch «Die illegale Pfarrerin» erzählt darüber.


Wir danken

  • Christina Caprez für das Ping Pong mit Cornelius Raeber
  • Flurina Camenisch für die Einblicke in ihre Arbeit als Gemeindearchivarin
  • Dem Team der Bibliothek Landquart und Umgebung, Gret Kohler, Andrea Signer und Annina Lampert für das tolle, gemeinsame Projekt
  • Siegfried Amadäus Jud für die wunderschönen historischen Klänge auf seinen selbstgebauten Instrumenten
  • Jeder und jedem, der den Weg in die am Schluss aus allen Nähten platzende Bibliothek gefunden hat

 

Nachhören? Unbedingt!

Wir haben die Geschichten rund um unser Schloss Marschlins aufgenommen.

Ganz einfach, miteinem Smartphone auf einer wackeligen Unterlage ... Das ist auch der Grund, warum es vielleicht mal scheppert und etwas krost. Sagen wir so: Das Smartphone hat keine bleibenden Schäden davongetragen!

Wenn du diesen Abend also nachhören möchtest - dann hast du spannende 90 Minuten Informationen vor dir!

Landquart und sein Schloss. Teil 1

Landquart und sein Schloss. Teil 2

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