... und geblieben. Landquart wird Heimat

Marica Jurik-Susak und Hans Pein erzählen

Manche Geschichten beginnen am 29. Dezember. Dauern an – für immer, oder aber nur für eine nicht ausreichend lange Zeit. Und auch wenn es wunderschöne Geschichten sind, sind sie doch nur Teil des Lebens.

Eine kleiner Junge kommt während des Kriegs auf die Welt

Hans, während des zweiten Weltkriegs am 31. Mai in Hamburg geboren. Er wuchs mit seinen drei Geschwistern auf, in den frühsten Jahren ohne Beisein seines Vaters. Der Bäcker wurde in den Krieg eingezogen, in Italien gefangen genommen und als Kriegsgefangener in die USA gebracht. Dort war er für die Verpflegung eines Holzfällerlagers verantwortlich. Sommer 47, der kleine Hans war rund 4jährig, spielte mit seinem älteren Bruder im Garten, als ein fremder Mann vorbeilief. Erst als sein Bruder «Papa! Papa! Papa!» rief, merkte er, dass dieser Fremde sein Vater war.

Während des Krieges kann er sich noch daran erinnern, wie er während eines Bombenalarms im Kohlenkeller sass und eine Kröte angestarrt hatte, die in einer Nische sass. Doch zum Glück hatte er den Krieg nur am Rande miterlebt – ausser eben, dass er die ersten Lebensjahre ohne seinen Papa aufwuchs.

Ein Bauernmädchen, das für andere einstand

Marica wurde als älteste Tochter geboren. In einem Dorf ausserhalb Zagrebs, auf dem Hof der Familie. Kühe und Schweine wurden vom Vater gehalten, Mais wurde angesät. Vor der Schule, morgens um fünf, hiess es noch Hühner füttern und Schweine versorgen. Die kleine Marica war wohl eine kleine Streberin. In der Schule wusste sie, dass Leistung und Resultate gefordert wurden. Dieses «strenge an etwas arbeiten», das sie wohl noch das ganze Leben prägen wird. Auch wenn sie mit dieser Strenge während der Schulzeit gut zurechtkam, liess sie es sich nicht nehmen, während Prüfungen ihrer kleinen Schwester zu helfen. Auch wenn das bedeutete, den Stock über die Finger gezogen zu bekommen.


Von der Schiefertafel zum Chemielaboranten und zum jungen Erwachsenen

Wer kennt das Geräusch einer krächzenden Kreide auf der Schiefertafel nicht. Klein-Hans sass genau mit so einer in der Schule. Wir können es uns vorstellen, auch wenn es schon so lange her scheint. Nach der Grundschule mit einem Umweg über das Gymnasium, welches jedoch mit einer Ehrenrunde hätte weitergehen sollen, ging er zurück in die Sekundarschule und schloss so die obligatorische Schulzeit ab. Danach fand er mit Glück eine tolle Lehrstelle bei der Commentz & Cie am Billbrookdeich: morgens früh aufstehen, Zähler ablesen, alles fein säuberlich notieren und zwei Zeitungen lesen, so dass er prima über alles Neue in der Region Hamburg informiert war.

Mit zwanzig Jahren stand das Militär an. Natürlich war das keine Option für Hans – und doch, ein Davonkommen fast unmöglich. Da hat er erfahren, dass sie in Südafrika genau seinen Schlag Mensch suchten. Mit bezahlter Reise und garantiertem Job vor Ort. Also wurde dieser Weg ins Auge gefasst. Durch einen Kollegen kam es dann aber anders: Dieser hat in einer deutschen Zeitung gelesen – „Automechaniker in der Schweiz gesucht“. Zu dritt nahm man die Abzweigung und auch Hans fand eine Stelle in Bern bei der Firma Schmids Erben/später Aseol. Dieser blieb er während 30 Jahren treu. So wurde Hans in der Schweiz ansässig und bald einmal heimisch.
Auf die Frage hin, ob Hans nicht mit «bösen Aussagen» zu kämpfen hatte meinte er ganz locker: Wenn jemand meinte «Sauschwob!» sagte, dann antwortete er einfach «Kuhschweizer!» - und schon sei das Thema erledigt gewesen.

Zufallsbegegnungen im Bus, die das Leben verändern

Eines Tages, mit 14 Jahren, fuhr Marica mit dem Bus zur Schule. Während der holprigen Fahrt machte der Bus einen starken Hüpfer und sie hielt sich an der Stange fest. Plötzlich war da diese andere Hand über ihrer. Und als sie hochsah, wusste sie, dass sie in die Augen ihres künftigen Ehemannes schaute. Knapp vier Jahre warteten sie, bis sie den Vater vor die Entscheidung stellt: Entweder heirate ich jetzt oder nie! Und wir wissen, dass Väter ein «nie» nicht akzeptieren, vielleicht grad im früheren Jugoslawien noch weniger. Also willigte er ein, dass Marica ihren Freund bereits mit 17.5 Jahren heiratete. Und das taten sie am 29. Dezember. Das Standesamt musste jedoch warten, bis sie volljährig war.

Von Zagreb nach Scharans: Was tue ich eigentlich hier?!

Als Marica die Strassen von Scharans hinauflief, den Hügel hoch in ihren hochhackigen Schuhen, da fragte sie sich schon: Was zum Teufel tue ich hier!
IIhr Mann hat jedoch schon als Saisonnier in der Schweiz gearbeit, per Zufall und über Kontakte ihres Vaters, der auch als Elektriker arbeitete, fand sie eine Stelle – im Scalottas. Ob das alles wirklich so schön war, das konnte sie in den ersten Tagen sicher nicht bestätigen. Und doch hat sie innert 3 Monaten fast perfekt "Schwiizertütsch" gelernt. Wie sie halt ist, diszipliniert und wissbegierig.
«Jugo» - nein, das habe sie nie gehört. Vielleicht auch nur nicht wahrgenommen. Denn immerhin hatte sie genug damit zu tun, sich im neuen Leben zurechtzufinden.

Vater fernab der Heimat und Parship im letzten Jahrhundert

Später, als geschiedener Mann mit dem Sorgerecht für seine Tochter, wohnte Hans in Jona. Sein jährlicher Besuch bei der Mutter in Hamburg endete einmal darin, dass die Nachbarin und Haushaltshilfe der Mutter (Pflege, Kommissionen erledigen und so) ein zweites Mal meinte, dass sie da eine Freundin hätte – geschieden, mit Sohn und leider roten Haaren – und er es sich doch bitte überlegen soll, ob es denn nicht besser wäre, wenn er sie heiraten würde …? Wir sind ehrlich – heutzutage läuft «verkuppeln» ein wenig anders.
Aber Hans hat es sich überlegt. Ganz gut sogar. Eine Woche lang. Und dann hat er der Nachbarin geschrieben, dass er auch der Meinung sei, dass es gut sei, diese Freundin einmal kennenzulernen. Und so hat er den ersten von hundert Briefen an Frau Wiebke Dühr geschrieben.

Die Einladung zur Skiwoche hat Wiebke angenommen. Danach wurden Briefe geschrieben, Begegnungen organisiert und teure Telefonate geführt. (1 Stunde kostete Fr. 100.-) Diese schöne Geschichte gipfelte dann am 29. Dezember 1978 (was steuertechnisch noch ganz clever gewesen sei, meinte Hans) in einer Heirat und hält bis heute an.

Landquart (und Umgebung), die zweite Heimat

Als Krankenschwester ausgebildet, arbeitete Marica lange Zeit in der psychiatrischen Klinik Beverin in Cazis. Diese sieben Jahre haben sie geprägt und ihr viele gute Erfahrungen für ihren Rucksack gegeben. Diese konnte sie in den späteren Berufen und Positionen immer wieder hervornehmen und davon profitieren. Leider auch im Privaten. Viele Aus- und Weiterbildungen standen an. Immer lernen, immer weiterkommen. Die kleine Streberin von damals wurde zu zielgerichteten Frau, die genau weiss, wohin sie möchte. Sie macht ihren Weg als Krankenschwester, ist heute Leiterin der Pflegestation des Bürgerheims Chur, ist Vize-Präsidentin der FDP Landquart und Mitglied der Kommission Spitalregion Churer Rheintal. Und auch wenn von schweren Schicksalsschlägen getroffen, hat sie den Mut, weiterzumachen nie aufgegeben.

Zwei Leben, zwei Generationen, zwei Kriege … eine neue Heimat

So viele Parallelen dieser Abend auch hatte, so viele individuelle, schöne Geschichten hielt er parat. Es ist eine Bereicherung, dass Hans mit Wiebke den Weg zu uns nach Igis gefunden hat. So sind sie doch an vielen unserer Anlässe mit dabei – treue Gäste im Publikum, was wir sehr schätzen. Auch sein 12 Jahre langes Engagement für die ältere Generation, in dem er ihnen die von der Spitex organisierten Mahlzeiten pünktlich geliefert hat, finden wir grossartig! Und natürlich gönnen wir es ihm von Herzen, dass er es jetzt «ein wenig ruhiger angeht» - und das sagt er mit einem kleinen Schalk in den Augen.

Auch Marica, mit ihrer offenen und liebenswerten Art und Ihrem Engagement für unsere Gemeinde, ist eine Bereicherung. Und sie zeigt uns, wie Integration funktionieren kann. Indem jeder das Beste für sich und seine Umwelt gibt und alles daran setzt, dazuzugehören. Und wir dürfen sehen, dass das hervorragend funktioniert.

Danke für diesen gelungenen Abend:

  • Marica Juric-Susak für deine Geschichte und das Kramen in der Vergangenheit
  • Hans Pein für deine Erzählungen aus dem Norden und die Einblicke in dein Leben
  • Claudia Schluchter von stilvoll naschen in Malans für die wie immer leckeren, vom Norden und aus Kroatien inspirierten Häppchen
  • Der Pianistin Anna Adamik für die wunderschön am Flügel gespielten Stücke von Bach, Chopin und Debussy
  • Dir, die und der du an unserer Veranstaltung teilgenommen und den Geschichten gelauscht hast.
  • Dem Evangelischen Pfarreizentrum für die zur Verfügung gestellten Lokalität und Olga Schmunk für die Hilfe bei der Übergabe des Saals.

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